Foto: Hanna Neander
Marleen Rothaus
That’s How The Light Gets In
14. Oktober – 17. Dezember 2023
Der Kunstverein Grafschaft Bentheim freut sich, die erste institutionelle Einzelausstellung von Marleen Rothaus zu präsentieren. Welche Erzählungen bestimmen unsere Vorstellungen von Geschlecht und Weiblichkeit? Wann und von wem wurden sie (fest)geschrieben? Und: Welches Wissen ging dadurch verloren?
Marleen Rothaus (*1991 Bielefeld) sucht Antworten auf diese Fragen, indem sie in ihren Malereien auf schmerzhafte historische Bruchstellen verweist, die im Zuge der gewaltsamen Durchsetzung des Patriarchats entstanden sind. Aufgrund ihrer Unvereinbarkeit mit Herrschaftsansprüchen wurden jahrtausendealte Wissensbestände überschrieben oder gleich, wie deren Träger*innen sukzessive ausgelöscht. In leuchtenden Farben holen Rothaus' Malereien vergessene Göttinnen, Mütter, Hexen, Freund*innen und andere widerständige Wesen in unser Bewusstsein zurück.
Mother of Change (2023) ist so eine vielschichtige Figur, die von verschiedenen Darstellungen von Muttergöttinnen angeregt wurde. Während sie ein Paar geflügelter Mischwesen stillt, blickt sie uns selbstbewusst an - ihre Haare türmen sich wie wehrhafte Hörner auf, dazwischen züngeln giftgrüne Flammen.
Rothaus lädt mit ihren Arbeiten bewusst dazu ein, Aufbegehren zu üben und das emanzipatorische Potenzial von abgewerteten Emotionen und Eigenschaften, wie Wut oder Fürsorge, wieder zu entdecken. Zu Grunde liegt dabei immer auch die Forderung nach Selbstbestimmung – bezüglich Sexualität, Mutterschaft sowie das Recht, autonom über den gebärfähigen Körper bestimmen zu können. Folglich haben die dargestellten Figuren vielgestaltige Körper, die sich fließend, nährend und stolz präsentieren; frei darin zu entscheiden wie und wen sie (mütterlich) umsorgen möchten.
Ausgehend von Theorien, die revolutionären Bewegungen zugrunde liegen, forscht die Künstlerin zu Erzählungen unterschiedlichster Epochen und Kulturen, um daraus weibliche Archetypen zeitgenössisch zu imaginieren. Leitend für Rothaus sind die Prinzipien der Jineolojî, die als „Wissenschaft der Frau und des Lebens“ übersetzt werden kann und in der kurdischen Freiheitsbewegung wurzelt.1 Mit ganzheitlichem Blick auf Bereiche wie Wissensproduktion, Ökologie oder Gesundheitswesen, verfolgt die Jineolojî das Ziel ein freies Zusammenleben allen Lebens jenseits von Machthierarchien zu ermöglichen. In umfassenden Analysen der Entstehung des Patriarchats und alternativen Gesellschaftsformen, identifiziert sie sogenannte „Geschlechterbrüche“. Gemeint sind Umdeutungen innerhalb der Narrative von Mythologie, Religion und den Wissenschaften, über die die patriarchale Deutungsmacht besonders einschneidend wirkte. Der Ausstellungstitel, wie Rothaus künstlerische Praxis insgesamt, wendet diese Erkenntnis hoffnungsvoll: Dort wo Brüche sichtbar werden, kann eben auch, Licht durchscheinen‘, also utopische Visionen und reale Veränderungen ansetzen.
Vielfach referiert Rothaus mit ihrer künstlerischen Praxis auf die misogynen Vorstellungen von ,Hexen‘ in der frühen Neuzeit. Menschen, die nicht den Geschlechternormen entsprachen, darunter Hebammen und Heiler*innen, alte und unangepasste Frauen, wurden systematisch dämonisiert und im Zuge der Hexenverfolgungen verbrannt.2 Basierend auf Holzschnitten aus Propagandabüchern zur Legitimierung dieser patriarchal motivierten Gewalt, kehrt Rothaus die heute noch wirkenden stereotypen Bildzeugnisse im Sinne einer feministischen Selbstdefinition um. So zeigt Coven (2020) das ursprünglich diffamierende Narrativ vom Hexenbankett unter dem Motto „me and my girls“ als eine heitere Feier der Solidarität.
Marleen Rothaus‘ künstlerische Arbeit ist untrennbar mit ihrer feministisch-aktivistischen Praxis verbunden. So nehmen ihre Malereien, die oft mit kurzen Schriftzügen kombiniert werden, gezielt offene Formen an – sie können ausstellbare Exponate sein, werden aber gleichsam als Banner und Schilder für politische Demonstrationen konzipiert und genutzt.
Für die Ausstellung „That’s How The Light Gets In“ im Kunstverein Grafschaft Bentheim sind außerdem drei neue Arbeiten entstanden: Ein Porträt der nordischen Göttin Freya, sowie die zweier Heilpflanzen, die mit ihr in Verbindung stehen. Entgegenunserem heutigen, westlich geprägten dichotomischen Denken, wird Freya zugleich mit den Sphären Liebe, Lust und Fruchtbarkeit ebenso wie mit Tod und Zerstörung verbunden. Damit verkörpert auch sie Komplexität als ein wesentliches weibliches Prinzip. Auf einem von zwei Katzen gezogenen Wagen reitet Freya in Rothaus Darstellung über den Himmel und bringt den Frühling – ein Symbol für Erneuerung und die Aussicht auf Licht nach Zeiten der Dunkelheit und Kälte.
Kuratiert von Romina Dümler
Das Programm zur Ausstellung:
Freitag, 13.10.2023, 19 Uhr
Eröffnung
Samstag, 14.10.2023, 11 Uhr
„Frühstück & Kunst“ | Kuratorinnenführung
mit der Künstlerin Marleen Rothaus und der Kuratorin Romina Dümler –
für Mütter und (Klein)Kinder, sowie alle Interessierten.
Ein kleines Frühstücksbuffet wird bereitgestellt.
Dienstag, 31.10.2023, 19 Uhr
„All Hallows’ Eve | Samhain-Nacht“
Lagerfeuer und offener Austausch im Hof:
Ursprünge alter Bräuche und Riten.
Die Ausstellung ist abends von 18-22 Uhr geöffnet.
Freitag, 10.11.2023, 16 Uhr
„Naturkraft erleben: Wildpflanzen Spaziergang“
mit Alexa Balderhaar, Wildkräuter- und Heilpflanzenpädagogin;
Treffpunkt: Sünnenberg 10, 49824 Emlichheim
Anmeldung bis 09.11.2023 via info@kvgb.de
Sonntag, 12.11.2023, 16 Uhr
„Kunst Up Platt“ | Plattdeutsche Führung
mit Friederike Klever, 2. Vorsitzende des Kunstvereins Grafschaft Bentheim
Montag, 13.11.2023, 19 Uhr
„Zeichnen mit Pflanzenfarbe“ Workshop
mit Alexa Balderhaar, Wildkräuter- und Heilpflanzenpädagogin
Anmeldung bis 09.11.2023 via info@kvgb.de
Samstag, 18.11.2023, 14-17:30 Uhr
Junger Kunstverein | „Empowerment“ Workshop
mit Carolin Itterbeck, Interimsleitung Kunstverein Grafschaft Bentheim;
gemeinsam feministische Utopien „erträumen“ und in kraftvolle Plakatbotschaften verwandeln –
für Jugendliche und junge Erwachsene.
Anmeldung bis 17.11.2023 via info@kvgb.de
Samstag, 25.11.2023, 15:30 Uhr
Künstlerinnengespräch zur Ausstellung
mit offenem Austausch und Raum für Aktion | Gedenken
zum „Internationalen Tag gegen patriarchale Gewalt“.
Samstag, 2.12.2023, 14-18 Uhr
Weihnachtsmarkt Neuenhaus
„Pop Up“ Basartisch und Lesung im Kunstverein
Sonntag, 17.12.2023, 10-14 Uhr
„Echte twentse Middewinterhornwanderung“
Verweis auf die regional bekannte Wanderung, welche
dieses Jahr in Neuenhaus am Alten Rathaus startet.
Die Ausstellung ist an diesem Tag von 10-18 Uhr geöffnet.
Die Ausstellung und das Programm werden gefördert durch das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur, den Landkreis Grafschaft Bentheim sowie die Stadt- und Samtgemeinde Neuenhaus.
Kunstverein Grafschaft Bentheim
Hauptstraße 37
49828 Neuenhaus
+49 5941 98019
kvgb.de
info@kvgb.de
Öffnungszeiten
Do - So 15-18 Uhr
sowie nach Vereinbarung
Eintritt kostenfrei
1
Vgl. dazu Schriften von Abdullah Öcalan.
2
Vgl. dazu die Forschungen von Silvia Federici.